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Old 04-04-2011, 01:49 AM   #1
adkj4o58
Commander In Chief
 
Join Date: Mar 2011
Posts: 4,209
adkj4o58 is on a distinguished road
Default Mit dem Taxi in die Straßenschlacht

Wir wollten noch ein paar Minuten auf unsere Kollegin warten, im Taxi. Wir dachten, alles ist ruhig. Weil hier am Benjamabopit-Tempel sogar Touristen mit dem Tuktuk spazieren fahren. Dann schießt ein Wasserstrahl quer durch die Straße. Nur ganz kurz. Dann knallt’s, dann qualmt’s. Dann rennen die Leute. Weg. Und auch wir. Aber hin.
Wir sind auf der falschen Seite. Auf der Seite der Rothemden. Zwei ältere Frauen halten sich am Arm, sie kommen uns entgehen. Die eine weint, die andere schreit. „Hier, die schießen, mit Gummi. Guck!“ Und dann zeigt sie auf die Wange ihrer Freundin. Geschwollen, blutig. Es sieht nach einem krassen Treffer aus. Die beiden ziehen an mir vorbei wie die Landschaft im Zugfenster. Wir sind auf der falsche Seite, wir wollen rüber, zur Polizei, zum Militär. Bei denen, die schießen, ist es sicher.
Militär und Polizei haben sich aufgestellt. Dreissig, vierzig Mann pro Reihe. Die ersten tragen durchsichtige Schilde. Dazwischen Soldaten mit Gewehren. Dicke Läufe, wie Schrotflinten. Hieraus kommen die Gummigeschosse.
Die Truppen wollen das Lager der Rothemden an der Phan Fa-Brücke stürmen. Seit Wochen campieren dort tausende Demonstranten. Die Soldaten gehen los, wie eine Phalanx römischer Legionäre. Dreihundert Meter, dann stehen sie vor den ersten Zelten der Roten. Aus allen Richtungen kommen nun Soldaten und Polizisten, hört man wie Schlagstöcke gegen Schilde schlagen. Es soll den vorrückenden Truppen wohl Mut machen und den anderen Angst. Die Rothemden weichen zurück. Bis zur Brücke, bis zur Bühne. Hier kommt der Vormarsch zum Erliegen.
Ein Blackhawk-Hubschrauber dreht enge Kurven, geht tief nach unten. Beide Türen sind auf, man kann hindurch gucken.
Die Riot Police hat sich im letzten Jahr gut ausrüsten lassen. Die Proteste hatte man schon lange kommen sehen. Neue Helme mit Nackenschutz, Brust-,schuhe camel, Bein- Armpanzer aus schwarzem Plastik. Der Himmel ist wunderschön blau, ein strahlender Tag in Bangkok. Aber es ist abartig heiß. Ein paar Jungs sind einfach umgefallen in ihrer Rüstung und liegen am Straßenrand. Hitzestau, Wassermangel. Kreislauf hinüber.
Ich höre den Helikopter wieder über uns. Und fatboy slim. Von irgendwoher. Aus der Hose. Mein handy spielt verrückt, schweiss-naß der touchscreen, ich krieg die Musik nicht aus. Bird of Pray. Dann geht wieder das Geballer los. Die Truppe feuert aus Sturmgewehren, schießt mit Platzpatronen Löcher in die Luft und in die Menge. Die Rothemden zerstäuben in alle Richtungen. Dann zischen die Granaten an meinem Ohr vorbei. Aus allen Richtungen, links, rechts und hinter uns ziehen Soldaten die Sicherungsstifte. Ein feines, furchterregendes Zischen verschwindet in den Reihen der Rothemden. Tränengas.
Dann dreht der Wind. Die Schwaden kommen zurück. Und breiten sich in den Reihen der Soldaten aus. Alle rennen, und wir mit. Raus aus den Schwaden. Wasser her. In der Sonne brennt das Gas wie Feuer. Auf der Haut, im Rachen in den Augen.
Pause. Die Kollegin versucht, den Leutnant für ein statement zu gewinnen: „Können Sie uns was sagen?“ „Nein, ich kann ihnen nichts sagen!“ „Warum können sie uns nichts sagen?“ „Weil ich selbst nicht weiß, was vor sich geht!“
Eine Frau in Rot holt den Wok raus. Unter einer Plane will sie kochen: Fleisch, Bohnen, Sojasauce. Vermutlich mit viel zu viel Salz. Denn sie schreit und gestikuliert wild vor Wut während sie das Essen anrührt. Um die Ecke im Schatten sitzen die Hungrigen. Knappe 20 Rothemden, ältere Frauen und Männer. Müde schlurfen sie heran. Sie wollen eigentlich nur noch weg von hier. Und vorher etwas essen.
Nach Stunden sind die Fronten geklärt. Nach Vormarsch, Rückzug. Rückzug, Vormarsch stehen Rothemden, Polizei und Militär am gleichen Ort wie morgens früh. Das Camp ist nicht gefallen. Jetzt beginnt der Kampf der Megafone. PsyOps sind aufgezogen, Soldaten mit Lastwagen, auf denen eine ganze Batterie Lautsprecher montiert sind. Eine junge Dame in Uniform und Barett steigt auf das Führerhaus, stellt sich auf und beginnt zu sprechen. „Wir sind keine Feinde. Wir sind eine Familie. Wir sind wie Brüder und Schwestern. Und wir haben euch lieb! Wir haben die Aufgabe, die Straßen freizumachen. Sie gehören allen Menschen in Bangkok und nicht nur Euch. Wir bitten Euch freundlich: Räumt den Platz. Geht nach Hause zu Euren Familien.“
Bei den Roten ist jetzt ein Lastwagen angerollt. Ein Mann mit Motorradhelm hat sich erhoben: „Wir halten nichts in unseren Händen. Wir haben keine Waffen. Kommt und guckt es Euch an. Wie könnt ihr nur auf uns schießen?!“
Beide Seiten rücken immer weiter aufeinander zu. Irgendwann stehen sich Rote und Soldaten so nah, dass Mikrofone überflüssig wären. Jetzt wird auch geschrien, gestikuliert.
Dann schmeisst das Militär seine Schallkanone an. Es spielt einen Schlager. Einen für alle: „Wir sind alle Kinder unseres Königs.“
Es wird langsam dunkel, wir hauen ab. Richtung Regierungspalast. „Da hinten irgendwo gibt’s wieder Taxis“, sagt der Polizist. Er zeigt eine Straßenflucht entlang durch drei Reihen Polizei. Und durch eine weitere dahinter, die Stellung vermummter Rothemden. Wir wechseln die Fronten, wir gehen durch die Linien. Über aufgerissenes Pflaster, über Steine und leere Flaschen. Da hinten irgendwo fängt Bangkok wieder an.
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